7.-st. Streichmusik aus Lahm bei Kronach

Schon im Jahr 1986 stieß ich im Rahmen der Mitwirkung bei einem Konzert (zum 10jährigen Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft Fränkische Volksmusik Bezirk Mittelfranken) in Feuchtwangen auf einige sehr interessante Notenhandschriften aus dem 19. Jahrhundert. Darunter sieben Stimmhefte für eine sogenannte „Streichmusik“ aus Lahm bei Kronach in Oberfranken. (Anm.: Diese Noten wurden im Jahr 1984 von Otto Schemm aus Arzberg versehentlich zusammen mit Noten aus Hohenberg an der Eger – den sog. „Hohenberger-Fass-Noten“ –  an die Forschungsstelle für fränkische Volksmusik übergeben. Deshalb wurden sie dort zunächst als „Hohenberger Streichmusik“ archiviert und Stücke daraus – darunter der bekannte „Hohenberger Galopp“ – in den 1990er und 2000er Jahren mit diesem örtlichen Bezug über Volksmusiklehrgänge verbreitet.) Mittlerweile ist es belegt, dass sowohl der Schreib- als auch der Gebrauchort dieser handgeschriebenen Stimmhefte dem kleinen Ort Lahm bei Kronach zuzuordnen sind.

„Fine heißt Ende! Weh thun mir meine Hände! Geschrieben den 2ten Februar 1881. Peter Müller Schieferdecker.“

Dieser Satz steht am Ende des Notenheftes für Trompete in D und beschreibt damit, welche Mühe es wohl gemacht hatte, diese sieben Stimmhefte mit 48 Tänzen zu schreiben Anm.: Dazu kommt eine „Kreutz Bolka“, die allerdings nur einstimmig am Ende des Heftes der Klar. in D notiert ist (vgl. https://www.bavarikon.de/object/bav:FFV-MUS-00000BAV80049377, S. 50 (abger. am 30.1.2025).

Peter Müller, Schieferdecker und Mitglied der Musikerfamilie Müller aus Lahm bei Kronach, hatte diese Hefte geschrieben für eine sog. „Streichmusik“ oder kurz „Streich“, einer gemischten Besetzung aus Klarinette in D, Klarinette in A, Trompete in A, Tenortrompete in D, zwei Geigen und Kontrabass. Eine Besetzungsform, mit der – in unterschiedlichen Varianten – ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert in ganz Franken an vielen Orten gerne zum Tanz aufgespielt wurde.

Die Stimmhefte, die ab 1892 im Besitz von Michael Müller (ebenfalls aus Lahm) waren, enthalten fast alles, was man für einen Tanz­abend benötigt: 13 Walzer, 12 Polkas, 10 Schottische, 7 Galoppe und 6 Mazurken ergeben 12 Touren mit jeweils vier Tänzen. (Anm.: Da der Schreiber Stücke explizit mit Schottisch oder Polka überschreibt, ist davon auszugehen, dass es sich hier immer um langsame Polkas (also Rheinländer) handelt, auch wenn sie im 2/4-Takt geschrieben sind.)

Nr. 1 „Margretten Walzer“ aus dem Stimmheft für Klarinette in D

Wer die Stücke komponiert bzw. arrangiert hat, ist leider unbekannt. Die Angabe von Partienummern bei einigen Stücken deutet allerdings darauf hin, dass die Stücke eventuell aus verschiedenen Partien anderer Notenhefte (evt. auch gedruckter Noten) abgeschrieben worden sein könnten. Ob dies aber alle Stücke bzw. auch die Arrangements betrifft, ist leider nicht erschließbar.

Es lohnt sich aber, diese Arrangements näher zu betrachten, da sie doch größere Unterschiede zur heutigen Arrangierweise von Volksmusik aufweisen. Wichtigstes Melodieinstrument ist die Klarinette in D, die nahezu durchwegs die erste Stimme zu spielen hat. Unterstützt wird sie von der überwiegend unisono verlaufenden 1. Violine – nur ab und zu spielt diese gemeinsam mit der 2. Violine den Nachschlag. Interessant ist der Einsatz der Klarinette in A. Eigentlich würde man heute eine meist durchgehende zweite Stimme erwarten. Das ist hier aber nicht der Fall. Die zweite Stimme wird nur teilweise eingesetzt, an vielen Stellen spielt die A-Klarinette eine Oktave tiefer ebenfalls die 1. Stimme. Sprich: die Zweistimmigkeit wird an ausgewählten Stellen eher als Stilmittel eingesetzt. Das verleiht der 1. Stimme eine herausragende Bedeutung und hebt dennoch zweistimmige Stellen markant hervor. Auch die Trompeten spielen eine andere Rolle als heutzutage üblich, wo sie meist als Melodieinstrument eingesetzt werden. Sie spielen hier eine sehr auf die Melodie bezogene Begleitung, von der nur die Trompete in A ab und zu solistisch hervortritt. Die tiefe Trompete in D bleibt fast ausschließlich in der Begleitung. Das Ganze wird getragen von einer überaus klaren Basslinie des Kontrabasses. Dieser spielt hauptsächlich die Grundtöne der jeweiligen Harmonien (ganz selten Wechselbass o.ä.) und nahezu keine Durchgänge. Nur punktuell tritt er mit einer eigenen Bassmelodie auf (z.B. Nr. 15 Galopp, 2. Teil).

Diese Art des Arrangements ergibt insgesamt ein sehr interessantes, klares und gut durchhörbares Klangbild, das ohne überflüssiges Beiwerk auskommt und gerade deshalb sehr gut als Tanzmusik taugt.

Für einen genaueren Einblick in die Arrangements und zum Weiterbearbeiten für den heutigen Gebrauch, können Sie im Folgenden diese Noten in moderner Computer-Notenschrift (Partitur und Einzelstimmhefte) herunterladen.

Partitur
Klarinette in D
Klarinette in A
Trompete in A
Trompete in D (tief)
Violine 1
Violine 2
Kontrabass

Hinweis:
Wer Einblick in die originalen Notenhefte haben möchte, hat seit einiger Zeit die Gelegenheit dazu. Unter der Signatur FFV-KT1046-HO0068 ist der gesamte originale Stimmsatz im Rahmen des Bavarikon-Projektes der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik digitalisiert und steht auf den Plattformen Bavarikon (https://www.bavarikon.de/object/bav:FFV-MUS-00000BAV80049377) und legamus
(https://volksmusik-forschung.de/legamus/noten.html?id=411331) zur Verfügung.

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